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IRMINA (Graphic Novel) – Rezension

Irmina - Barbara Yelin - Graphic Novel - ReproduktDie ehrgeizige Irmina reist Mitte der 1930er Jahre nach London, um eine Ausbildung zur Fremdsprachensekretärin zu beginnen. Dort lernt sie Howard aus der Karibik kennen, dem sie sich im Streben nach einem selbstbestimmten Leben verbunden fühlt. Durch den klugen und zielstrebigen Oxfordstudenten beginnt Irmina ihren Blick auf die Welt zu öffnen. Doch findet ihre Beziehung ein jähes Ende, als Irmina, bedrängt durch die politische Situation, nach Berlin zurückkehrt. Im nationalsozialistischen Deutschland steht sie vor der Möglichkeit, den erstrebten Wohlstand endlich zu erlangen, wenn sie dafür die verbrecherische Ideologie des Regimes nicht infrage stellt. Und die politischen Ereignisse eskalieren weiter und weiter…

Die Haptik der mit einem Preis von satten 39 Euro ausgewiesenen Graphic Novel der deutschen Künstlerin Barbara Yelin ist schon beeindruckend: 288 Seiten hochwertiges Kartonpapier, Hardcover, silbergraues Lesebändchen. Die Qualität des Drucks so gut, dass es Originalzeichnungen sein könnten. Immer wieder erwischte ich mich dabei, meine Finger vom Papier zu nehmen, um die Zeichnungen nicht zu verschmieren. Apropos Zeichnungen: diese wirken auf den ersten Blicken eher wie Entwürfe für die noch zu tätigen Reinzeichnungen. Gekritzelte Striche und Farben, die über die eingrenzenden Rahmen hinausgehen. Alles sieht zunächst improvisiert aus, eröffnet aber auf dem zweiten und dritten Blick eine Dynamik, der man sich als Betrachter kaum entziehen kann. Schnell erkennt man, dass jeder Strich sitzt und gewollt ist. Die Handlungsübergänge sind gekonnt vollzogen, doppelseitige Zeichnungen wechseln sich mit kleinen, dialoglastigen Panels ab. Schon nach einigen Seiten ist man in der Symbiose aus Text und Bild eingetaucht. So lässt die Geschichte einen bis zum sowohl fulminanten, als auch nachdenklich stimmenden Ende kaum los.

Barbara Yelin erzählt die Geschichte der jungen, unkonventionellen Irmina, die mit vielen Träumen im Gepäck nach London reist. Dort lernt sie eines Tages den farbigen, aus Barbados stammenden, Studenten Howard kennen und auf ihre Weise lieben. Obwohl beide – sie Deutsche, er farbig – rassistischen Anfeindungen der Engländer ausgesetzt sind, folgen unbeschwerte Tage. Doch die politische Realität und der Mangel an finanziellen Mitteln zwingt Irmina schon 1935 zur Rückkehr nach Deutschland, wo sie sich in die neue Frauen- und Mutterrolle der nationalsozialistischen deutschen Volksgemeinschaft zu fügen hat. Zunächst diese widerstrebend annehmend, findet sie sich aber mehr und mehr darin zurecht. Es folgt ein Leben zwischen dem Wegsehen vor der immer stärker werdenden Judenverfolgung, Bombenangriffen und Kindererziehung. Das selbstbestimmte Leben, von dem sie immer so träumte, entschwindet langsam zwischen den Zwängen des Kriegsalltags. Viele Jahre später, in den poppig-bunten 80er Jahren, erhält die mittlerweile vor der Pension stehende und zur grauen Maus gewordenen Irmina einen Brief aus der Karibik. Als sie darauf eine folgenschwere Reise antritt, wird ihr schmerzhaft bewusst, wie die die große Politik ihr individuelles, persönliches Glück verhindert hat.

Fazit: Ergänzt durch ein gut zehnseitiges, informatives Nachwort des Historikers Dr. Alexander Korb stellt Barbara Yelin gekonnt das Schicksal eines Individuums während der dunkelsten Zeiten deutscher Geschichte dar. Es ist eine nicht nur aufwühlende Geschichte ohne große Klischees, sondern auch ein Aufruf dazu, nie seine Individualität aufzugeben.

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